Dienstag, 13. August 2024

Die erste Runde

Think louder!
Irgendwann muss er es doch begreifen. Angestrengt schickt sie ihre Gedanken in seine Richtung, aber er hört einfach nicht auf zu reden. Sitzt ihr gegenüber und labert sie zu. Sie hält das einfach nicht mehr aus. Nach zwanzig Minuten hat sie genug. Sie trinkt ihr Glas aus, steht auf, hängt sich die Jacke über den linken Arm, greift nach ihrer Tasche und sagt mit leiser Stimme: Es ist aus. Gib mir meinen Wohnungsschlüssel wieder, wir werden uns nicht mehr sehen.
Beinahe schon amüsiert beobachtet sie, wie diese paar Worte nur ganz langsam bei ihm anzukommen scheinen, wie sein Redefluss beginnt zu stocken und schließlich versiegt. Dann erst kommt Bewegung in seine Mimik, wechselt von der Selbstüberzeugung in Verwirrung. Schnell steht auch er auf und will mit seiner rechten Hand nach ihr greifen, sie weicht zurück. 
Mein Schlüssel! sagt sie nun lauter.
Willst du nach Hause fahren? fragt er zurück.  Die kommen schon noch, keine Sorge. Die haben sich einfach verspätet. Du musst keine Angst haben, ...
Mein Schlüssel. Sie streckt ihm die Hand mit offener Handfläche entgegen. 
Aber wieso? Was hast du denn. Er schaut sie verwirrt an. Wir können ja gehen, wenn du hier nicht ...
Schön langsam wird sie ärgerlich. Sie hasst seine Begriffsstutzigkeit, seine Selbstverliebtheit, die ihn alles andere ausblenden lässt so sehr. Wieso ist sie überhaupt mit ihm hierher gefahren? Er wollte sich mit einem befreundeten Paar in dem Café treffen, die beiden sind aber nicht aufgetaucht. Keine Absage, nichts. Vielleicht hat er sie aber auch nur falsch verstanden. Er lebt oft so sehr in seiner eigenen Welt, dass sie nur den Kopf schütteln kann, ob seiner Fähigkeit, die Realität nicht an sich heran zu lassen.
Die Schlüssel - jetzt! 
Sie wird lauter. Vom Nachbartisch ist nichts mehr zu hören, seit sie aufgestanden ist. Sie mag aber gar nicht hinschauen, will nicht sehen, wie vielleicht jemand betont wegschaut, nur um besser zuhören zu können. Oder starren die Leute sie etwa ganz unverhohlen an? Egal. Da muss sie jetzt durch. Auch wenn sie es hasst, in der Öffentlichkeit aufzufallen. Sie fliegt gerne unter dem Radar, verhält sich unauffällig und wird lieber übersehen, als Aufmerksamkeit zu erregen. Aber hier hat sie keine Wahl. Wenn sie es jetzt nicht beendet, wird diese Elendsbeziehung, die eigentlich gar keine ist, sie noch länger runterziehen. 
Was hast du denn? wiederholt er jetzt so kläglich, dass sie beinahe Mitleid mit ihm bekommen könnte. Aber eben nur beinahe. Zu oft hat er ihre Einwände beiseite gewischt, ihre Meinung ignoriert und einfach nur "sein Ding" durchgezogen. Sie hat keine Lust mehr auf diesen Krampf und ist im Moment sogar etwas ärgerlich, dass sie nicht schon früher die Notbremse gezogen hat. Etwas weniger Bequemlichkeit und "Ach-lassen-wir-es-doch-einfach-so-weiterlaufen" hätte ihr zum Beispiel diese Peinlichkeit erspart. Aber so ist es nun mal, jetzt hat sie es angestoßen und muss die Gelegenheit nutzen.
Du hast mich verstanden. Gib mir meinen Schlüssel, setz dich hin und warte auf deine Freunde oder auch nicht. Geht mich nichts mehr an. 
Sie sieht ihm an, wie es jetzt in ihm arbeitet. Er spürt wohl, dass es ihr Ernst ist und will ihr den Schlüssel nicht zurückgeben, weil das einer Kapitulation gleich käme. Da spürt sie eine solche Wut in sich aufsteigen, Hitze wallt durch ihren Körper und schießt in wütenden Blitzen aus ihren Augen. Sie geht um den Tisch, stellt sich ganz nah neben ihn und zischt: Schlüssel!
Er greift in seine Tasche, nestelt den Schlüssel heraus und will gerade wieder ansetzen, um wieder loszulabern, da reißt sie ihm den Schlüssel aus der Hand, dreht sich um und verlässt mit schnellen Schritten das Lokal. 
Erst draußen vor der Tür atmet sie tief aus und wird ruhiger. Jetzt nur nicht stehen bleiben, sie will nicht riskieren, dass er ihr folgt. Einen kurzen Moment glaubt sie, in Tränen auszubrechen, ein Schwall der Erleichterung gepaart mit dem Stolz auf sich, diese Beziehung nun endlich beendet zu haben, überrollt sie. 
Jetzt nicht, weist sie sich an. Geh weiter. Ruh dich nicht auf der ersten Stufe aus, da kommen noch mehr. Sie wendet sich nach links in Richtung der Stadt. Sie wird nicht nach Hause gehen, weil sie befürchtet, er könne dort auf sie warten und noch fühlt sie sich nicht bereit für die 2. Runde. Die wird kommen. 
Aber nicht heute, sagt sie sich und beschließt den Abend in ihrem Stammlokal zu verbringen. Dort ist heute Karaoke-Abend und das bedeutet, Spaß, Ablenkung und viele Bekannte. Ein Lächeln auf dem Gesicht und ganz leicht ums Herz, lenkt sie ihre Schritte in die, wie sie sicher ist, richtige Richtung.

2 Kommentare:

  1. Puuuh! Ich bin noch ganz sprachlos, überwältigt ... ob dieser mitreißenden und lebendigen Geschichte. Sehr gut, gut mitgenommen und ich habe mich tatsächlich in die Szenerie hineingezogen gefühlt. Ich habe gehofft, dass die Protagonistin beim Abmarsch nicht mit ihren High-Heels umknickt oder Toilettenpapier am Absatz hinter sich her zieht ... mein Herz klopft immer noch ein bisschen vor Aufregung. Schade, dass es "nur" eine Kurzgeschichte ist.

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    1. Dankeschön!
      Ich freue mich immer, wenn eine Geschichte bei den LeserInnen eine Emotion hervorruft. :D

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