Mittwoch, 18. Dezember 2019

(1) Schlechter Scherz?


Montagvormittag. Es ist gerade mal 9 Uhr 49 und ich habe jetzt schon wieder keine Lust mehr auf meine Arbeit. Das Wochenende war so lala, als Ausrede habe ich immerhin, dass ich die Woche davor noch mit den Folgen einer fiesen Erkältung zu kämpfen hatte und mir die Energie für tolle Unternehmungen einfach fehlte. Aber trotzdem bin ich nicht so erholt und kopfdurchgepustet, wie es möglich wäre.
Naja, was soll’s. Dann also wieder die Datenbank. Die Zettel liegen vor mir,  neben mir. Die einen gehören eingegeben und abgelegt, die anderen eingegeben und weitergeleitet, weil sie auch noch an einer anderen Stelle erfasst werden müssen. Nichts, worüber ich noch irgendwie nachdenken müsste. Das läuft alles wie von selbst.
Ich sitze in einem Zimmer, das wie ein Wurmfortsatz des Sekretariats wirkt. Es ist groß und hell, aber eine Sackgasse. Dadurch habe ich aber auch meine Ruhe und kann konzentriert arbeiten. Manchmal, wenn im Raum hinter mir zu viel Lärm und Aufregung herrscht, schließe ich die Tür. Meistens empfinde ich es aber als ganz angenehm zu hören – wenn auch oft nur peripher – was dort passiert. So wie jetzt. Vom Gang her sind schwere Schritte zu hören, da kommt eine Gruppe zu uns.  Zwei Männerstimmen begrüßen die Kolleginnen und dann höre ich meinen Namen. Sie fragen nach mir. Ich gebe noch schnell eine Diagnose in die Datenbank und schaue nach den OP-Zeiten, um diesen Datensatz fertig zu haben, sollten die beiden etwas Längeres von mir brauchen. Ich wüsste zwar nicht was, aber gut.
Dann steht der eine schon neben mir und sagt.
Frau Müstiger ich muss sie bitten, die Arbeit zu beenden und mitzukommen.
Ich schaue ihn verständnislos an.
Mitkommen? Wohin?
Bitte stellen sie keine Fragen. Beenden sie ihre Arbeit und kommen sie.
Was heißt hier Arbeit beenden, muffle ich vor mich hin. Dazu brauche ich noch ein paar Stunden. Sagen sie mir bitte, was hier los ist?
Jetzt steht der zweite Mann dicht neben mir. Viel zu dicht. Er beugt sich so vor, dass ich von der Tastatur weggedrängt werde und nicht mehr zum Bildschirm sehe.
Bitte folgen sie unseren Anweisungen.
Eisig die Stimme.
Ich versuche mich umzudrehen, um herauszufinden, wie meine Kolleginnen auf die beiden reagieren, bin aber so eingezwängt, dass nicht mal das mehr möglich ist.
Ach was soll’s. Mit Bürokraten zu diskutieren ist so sinnlos, wie mit Meerschweinchen über Quantenphysik zu streiten. Ich schiebe schwungvoll den Bürosessel zurück und sofort schnappt sich M2 die Maus und Tastatur und beginnt wie wild darauf einzutippen. Was soll das denn bitte? Immerhin bin ich noch mit meinem Benutzernamen eingeloggt und dieser Typ führt da gerade was-weiß-ich auf? Dann sehe ich an seinem Rücken vorbei auf den Bildschirm. Ui, das sieht sehr nach Programmiersprache aus, was der da tut. Noch einmal setze ich an
Ich will wissen, was hier los i…
Es reicht!
Was war das jetzt bitte? Hat mich M1 gerade angeschrien, wie ein Volksschulkind? Fassungslos sitze ich da.
Also wenn sie nicht normal mit mir reden, gehe ich nirgendwo hin. Sie sagen mir jetzt, was sie von mir wollen, warum der Hansel da – ich deute mit dem Kinn auf M2 – den Computer manipuliert, während ich noch eingeloggt bin und schreien können sie überhaupt woanders.
M1 schaut mich mit versteinerter Miene an und sagt.
Wenn sie Widerstand leisten, rufe ich den Ordnungsdienst.
Das muss ich erst mal verdauen. Ich schließe die Augen und lasse den Morgen Revue passieren. Bin ich denn wirklich wach und physisch in der Arbeit angekommen oder liege ich noch im Bett träume wirres Zeug? Wache ich gleich auf und sehe, dass ich den Wecker abgestellt habe und noch mal eingenickt bin und mein Unterbewusstsein will mich durch dieses wirre Zeug aufwecken? Aber ich spüre doch den Sessel unter mir und auch, dass ich auf meine Unterlippe beiße.

Noch einmal will ich protestieren, aber irgendwie verlässt mich gerade die Energie und ich beschließe, einfach mitzuspielen. Ich stehe auf, streiche meinen Mantel gerade und sage:
Also los, dann gehen wir eben.
M1 verzieht keine Miene und sagt, nehmen sie ihre persönlichen Gegenstände mit und ziehen sie sich um. Ich will zu meinen Kolleginnen schauen, um ihre Reaktion zu sehen, aber sie scheinen beide ihren Arbeitsplatz verlassen zu haben. Oder wurden sie etwa auch geholt?
Ich bücke mich, um meinen Rucksack vom Boden aufzuheben, nehme das Telefon, das neben dem Computer liegt und drehe mich zu meinem Kleiderständer. Den Arbeitsmantel hänge ich auf, nehme den Dienstausweis und den Schlüssel aus der Tasche und will sie in den Rucksack werfen.
Das nehme ich!
Kommt es wie aus der Pistole geschossen von M1 und schon hat er mir die beiden Dinge aus der Hand genommen. Ich schlüpfe in meinen Pullover und die Halbschuhe, die unter meinem Schreibtisch stehen. Dann schaue ich M1 abwartend an.
Sonst haben sie hier nichts?
Er deutet auf die Schubladen meines Trolleys, die Handcreme, die beim Bleistiftköcher steht und zieht die Augenbrauen fragend hoch.
Ich schlucke. Irgendwie wird mir jetzt ganz anders. Ich fühle mich, wie auf dem Weg zum Schafott, nur weiß ich nicht, was ich verbrochen haben könnte. Trotz steigt auf und ich spüre förmlich, wie sich mein Unterkiefer nach vorne schiebt und ich einen schmollend-verbissenen Gesichtsausdruck annehme. Innerlich schalte ich jetzt um auf Versteinern. Ich nehme die Cremetube, die Papiertaschentücher, öffne die unterste Schublade und nehme die Stofftasche mit meinen Socken heraus. Dahinter liegen ein paar Exemplare meiner bisher veröffentlichten Bücher, die ich einer Kollegin mal mitgenommen, sie ihr aber nie gegeben habe. Aus der obersten Schublade nehme ich noch drei Teebeutel und ein paar Hustenbonbons. Und den Post-It-Block, den ich vor ein paar Wochen mitgebracht habe. Nächste Schublade – eine kleine Tasche mit Zahnbürste und –pasta, eine Haarbürste und ein Deo-Roller. Tastend fahre ich mit der Hand ganz nach hinten und ziehe noch drei Haarspangen und einen Haargummi hervor. Nächste Lade – sie ist leer, fertig.
Nachdem mir die beiden zwar indirekt, aber wenig subtil mitgeteilt haben, dass ich heute (?) nicht an meinen Arbeitsplatz zurückkommen werde, schlüpfe ich auch in meine Winterjacke und hänge mir den Schal um. Jetzt muss ich trotz meines nach außen versteinerten Gesichts, innerlich doch schlucken. Wenn ich nur wüsste, was hier passiert und warum? Ich habe nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Inzwischen möchte ich sogar schnell weg von hier und endlich zu jemanden gelangen, der mir sagt, was hier gespielt wird. Ich will wissen, wie es weitergeht und wer dafür verantwortlich ist, dass ich wie eine Schwerverbrecherin behandelt werde.
Gemeinsam verlassen wir das Sekretariat. Ich fühle mich wie eine Promi zwischen zwei Personenschützern. Draußen biege ich rechts ab, um die Stiegen ins Erdgeschoss hinunter zu gehen, aber M1 stoppt mich und drängt mich zu den Aufzügen. Das passt mir wiederum gar nicht, weil ich schon beim Gedanken daran, mit diesen beiden Gorillas auf engstem Raum zusammengesperrt zu sein, Schweißausbrüche bekomme.
Interessanterweise ist kein Mensch zu sehen. Weder im Treppenhaus, noch im Gang der angrenzenden Station. Wieder muss ich an einen Traum denken. Oder an einen Film. Diese Gedanken, wie irreal diese Begebenheit ist, lenken mich so ab, dass ich mich wieder ein wenig beruhige. Was soll denn schon passieren? Und vor allem warum sollte etwas passieren? Wobei, wenn man es genau nimmt passiert ja gerade was. Ich komme nur einfach nicht drauf, was genau.
Die beiden Anzugträger sind mir da auch keine Hilfe. Schweigend geleiten sie mich ins Verwaltungsgebäude, auch dort - kein Mensch am Gang, keine Wartenden vor der Kasse oder der Schlüsselausgabe... sind denn alle ausgeflogen?
Im Erdgeschoss trennen sich M1 und M2. Der erstere biegt nach rechts ab, der Zweite führt mich zum Lift und fährt mit mir in den dritten Stock. Dort riecht es staubig, als wir aussteigen und zu meiner Erleichterung höre ich aus einem der ersten Zimmer eine laute Männerstimme durch die geschlossene Tür. Zwei Zimmer weiter steht sie offen und M2 deutet hinein.
Setzen sie sich.
Mir liegt so viel auf der Zunge. Von "Vielen herzlichen Dank für die Begleitung und das anregende Gespräch" bis hin zu "Verpiss dich du Arschloch" ist alles dabei. Ich betrete den leeren Raum und gehe automatisch zur Fensterfront. Die zeigt mir den Innenhof des Gebäudes, leer.
Ein paar einzelne Stühle stehen an der Wand, ein kleiner Holztisch mit einer Leselampe steht in einer der Ecken. Kein Computer, kein Schreibtisch, kein Telefon.
Ich drehe mich um. Die Tür hat M2 wohl lautlos hinter mir geschlossen, sie ist zu. Soll ich versuchen, ob sie auch abgesperrt ist? Ein kleiner Impuls in die Richtung ist zwar da, aber ich traue mich nicht. Entsetzt schüttle ich den Kopf. Warum nicht trauen? Ich habe doch nichts verbrochen, auch wenn ich mich schön langsam so fühle. Also gehe ich mit forschem Schritt auf die Tür zu, als sie aufgeht und M1 mit einem "neuen" Mann den Raum betritt.
Er hat einen Aktenstapel in der Hand, schaut nur kurz in meine Richtung, legt die Akten auf den Tisch und zieht sich einen Stuhl heran. M1 steht derweilen gorillamässig vor der geschlossenen Tür.
Der Neue blättert in (wie ich annehme) meinen Akten, blickt aber nicht mal in meine Richtung. Na gut du Depp, denke ich bei mir. Ignorieren kann ich auch. Ich schlendere in den hinteren Teil des Raumes und stelle mich wieder an ein Fenster. Noch immer ist kein Mensch zu sehen. Aber die Krähen sind noch da. Sie bevölkern das Krankenhausgelände und sind an Menschen gewohnt. Oft sieht man sie in Scharen aus den Bäumen aufsteigen, manchmal einzeln wie gemalt auf einem Hausdach sitzen. Ich mochte diese Vögel schon immer. Was würde ich jetzt drum geben, einfach mit ihnen mitfliegen zu können. Ich bin so in meine Gedanken versunken, dass mir erst nach einiger Zeit auffällt, wie ruhig es in dem Raum geworden ist. Was denn, sind die schweigenden Männer plötzlich verstorben? Vielleicht an ihren Zungen erstickt?

4 Kommentare:

  1. Hat ja was von Stasi, liebe Doris *grusel*

    Aber die Spannung ist da und ich hoffe Du beendest bald diesen Cliffhanger :-)

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    1. Ööööps, was einem in der Arbeit eben so alles einfällt... die Fortsetzung ist schon in Arbeit. Nur gibt es da zwei unterschiedliche Entwicklungen. Mal sehen, welche sich durchsetzt.
      Oder ich biete einfach beide an und lasse meine Leser entscheiden, welche sie bevorzugen?!

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    2. Ich hätte gerne ein Happy End! :-)))

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    3. Mal sehen, ob da was für dich dabei ist?! ;D

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